Mountain mania in Sarajewo

Sarajewo war eine sehr ambivalente Erfahrung.

Die Hauptstadt Sarajewo liegt in einem großen Talkessel, umgeben von ziemlich hohen Bergen. Auf diesen Bergen fanden die Olympischen Winterspiele vor einiger Zeit statt, was alle Einwohner Sarajewos gerne immer wieder mit Stolz berichten. Aber, in diesen Bergen lagen auch die Scharfschützen, die während der langen Belagerung Sarajewos vor ca 20 Jahren unter anderem auch auf Zivilisten schossen. Immer wieder sieht man Gebäude mit komischen Löchern in den Wänden – den Einschusslöchern der Gewehrsalven.

Sarajewo ist eine Stadt im Aufbau – und das, so wurde mir erzählt, schon zum wiederholten Male. Von der Unterdrückung durch das Osmanische Reich, bis zu diesem letzten Bürgerkrieg. “Wir hatten nie eine Chance! Immer wenn wir im Aufbau waren, kam ein neuer Krieg” erzählte uns eine der Gastgeberinnen.

Wir waren in East-Sarajewo, eine “Stadt”, über die man durch Wikipedia & CO noch nicht so viel erfährt. East-Sarajewo besteht aus einigen Häusern, Wohngegenden, einer großen Busstation, es schließt an den Flughafen an, hat ein Stadion und mindestens eine Universität. Aber wo man auch hinblickt, immer wieder “fehlen” Häuser, sind im Aufbau – oder baufällig. Viele Fabriken sind verlassen und heruntergekommen, das Uni-Gebäude ist eine ehemalige Firma, die dann vom Militär genutzt, und schließlich zur Hochschule mit Internat umfunktioniert wurde. Eine Tankstelle wird von einer Baufirma als Lager genutzt, und ..kennt ihr noch diesen alten, eckigen VW-Golf 1? Der ist in Sarajewo der Renner ..Also, er fährt dort noch. Zusammengefasst ist die Stadt alles andere als hässlich, und jeder gibt sich Mühe. Aber etwas traurig wirkt sie schon. Verlassen. Keiner der Gastgeber meinte, er würde gerne in Sarajewo bleiben. Die Uni abschließen, und ins Ausland. Deutschland? – Wenn es geht, sofort!

Als Deutscher bist du in Sarajewo der Star. Jeder will dir seine drei Sätze auf deutsch sagen, und ganz wichtig ist, wie oft und warum sie schon einmal in Deutschland gewesen sind. Ganz anders als im Großteil der Welt wird Deutschland nicht als Unterdrücker oder ähnliches gesehen, sondern als gelobtes Land. Die allererste geschichtliche Aktion Deutschlands, die in Sarajewo zählt, ist dass Deutschland in der Aufbauzeit nach dem Krieg alle Gastarbeiter eingeladen hat. Also: Kein Hitler-gerede, sondern “Isch liebe disch”. Das war eine beeindruckende Erfahrung.

In Sarajewo, der Hauptstadt, oder “Middle-East”Sarajewo, wie die Gastgeber witzelten, leben drei Völker und drei Religionen zusammen. Middle-East erinnert hierbei an die vielen Moscheen Sarajewos. Katholiken, Muslime und Russisch-Orthodoxe leben in dieser verworrenen Stadt, und es scheint zu funktionieren. Manche der Einwohner dort sind darüber sehr stolz – andere eher besorgt. Besonders ist das auf alle Fälle. Zudem leben Serben, Bosniaks und Kroaten in Sarajewo. Auf jedem Schild, jeder Zigarettenpackung wird man darauf aufmerksam gemacht, dass drei Nationalitäten in dieser Stadt im Einklang – oder viel eher Mehrstimmig zusammen leben. Auf der Zigarettenpackung steht, dreimal, Rauchen ist tödlich. Dabei steht er zweimal(!) in lateinischer Schrift, und einmal in Kyrillischer Schrift dort. Dass die lateinischen Sätze zweimal genau die selben sind, ist verrückt. Dass das Kyrillische Buchstabe für Buchstabe übersetzt wieder genau das selbe ist, lässt einen den Kopf schütteln. Die Sprache dort ist nämlich Serbisch. Punkt. Bosnisch, Serbisch und Kroatisch sind im Grunde das Selbe. Ähnlich, wie Badisch, Berlinerisch und Bayrisch alles Deutsch ist – nur dass die Bayern für diesen Vergleich noch in Sütterlin schreiben müssten. Trotzdem sitzt der “National”-Stolz so tief, dass manche Menschen sich weigern, die geringen Unterschiede von “Sprache” zu “Sprache” zu übergehen. Auch die Frage, welcher der Lateinischen Sätze denn jetzt offiziell welche Sprache wäre, habe ich nie beantwortet bekommen.

Die Teilnehmer waren leider alles andere als bunt gemischt. Wir waren ein Türke, ein Pole, ein Deutscher, ein Chinese der in Deutschland studierte, und vier serbisch sprachige. Okay, unter den serbisch sprachigen war nur eine echte Serbin. Die anderen waren eine Kroatin und zwei Bosnier, aber alle sprachen Serbisch. Besonders wenn abends die Volkslieder rausgekramt wurden, war eindeutig, dass die Gastgeber und Teilnehmer, bis auf drei Mann, einem und demselben Volk angehörten. Ich habe noch nie so viel und gleichzeitig so wenig unterschiedliche Menschen kennen gelernt.

Das Essen in Sarajewo war ..gewöhnungsbedürftig. Menschen, die kein Fleisch mögen, müssen dort elendig verhungern. Das ganze Essen wirkte auf mich eher “grob”. Die traditionelle Speise dort ist Cevap, angelehnt an das kroatische cevapcici. Hackfleischröllchen in einem Fladenbrot, mit rohen Zwiebeln. Und Zwiebeln sind auch schon genug Gemüse 🙂 Von Frühstückswurst bis Abendleber, Fleisch und Kohlenhydrate sind beim Essen dort die wichtigsten Bestandteile – vor allem in der Mensa.

 

Ich habe in dieser Woche die Balkan-Region in einer Tiefe, auch emotionalen Tiefe, kennen gelernt, die beeindruckend war. Ich habe sehr viele Bilder und Eindrücke mitgenommen, die mich noch wochenlang beschäftigt haben. Es war eine sehr gute Zeit und wir hatten alle viel Spaß, aber es war nicht meine Welt. Für mich schließt damit mein Balkan-Abenteuer ab. Ich bezweifle, dass ich in nächster Zeit große Lust verspüren werde, nach Serbien oder Mazedonien zu reisen, nach Bulgarien oder Rumänien. Die Balkan-Region ist groß, doch die meisten der Länder sind klein und die Unterschiede sind teilweise kaum spürbar.

Also für die nächste Reise.. Wie wäre es mal mit dem hohen Norden? 😉
Euer Sam